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Der Weg ins Licht?

Dmitri Schostakowitsch: 5. Sinfonie d-Moll op. 47

28.07.2024 — von Lioba Elbert

Mit geschwellter Brust beginnt Schostakowitschs 5. Sinfonie. Vor Stolz und Kraft scheint sie zu platzen. Auf einer imaginären Leinwand jubeln Menschenmassen und triumphieren. Doch schon nach den ersten paar Takten zieht sich die Euphorie zurück und verwandelt sich in eine hintergründige Bedrohung. Diese hält so lange an, bis eine Sehnsuchtsmelodie erklingt. Ich misstraue der Stimmung, die immer wieder von einer Emotion in die gegenteilige verfällt. Ein Marsch trampelt die Ruhe und Melancholie nieder. Der erste Satz könnte enden, wie er begonnen hat. Stattdessen verfällt er in eine Depression; hier und da stechen Dissonanzen heraus, wie grelle Flicken auf einem Stoff. Sie lassen vermuten, dass die Dinge unter der Oberfläche nicht so sind, wie sie scheinen

Bevor Schostakowitsch die Sinfonie komponierte, hatte er einen Verriss einstecken müssen. Die sowjetisch-kommunistische Presse veröffentlichte einen vernichtenden Artikel über seine Oper "Lady Macbeth von Mzensk". Stalin hatte eine Vorstellung besucht.

Stalin in der Oper

Stalin mit seiner Ehefrau in der Oper, vor 1953, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 DE

Ihm schien das Werk nicht gefallen zu haben, denn er beschrieb es als "Chaos statt Musik". Daraufhin erschien die Kritik und Schostakowitsch bangte nicht nur um seine Karriere, sondern auch um sein Leben. Er reagierte mit seiner fünften Sinfonie. Sie wirkte wie eine Unterwerfungsgeste, ein Werk, das sich streng an die traditionelle Form einer Sinfonie im 19. Jahrhundert hielt. Er nannte sie sogar "Antwort eines sowjetischen Künstlers auf berechtigte Kritik". Genau so wurde sie nach ihrer Uraufführung auch wahrgenommen, oder zumindest verkauft, als eine Wiedergutmachung. Niemand aus der Politik wollte sie als etwas anderes sehen. Denn Musik sollte der Sowjetunion dienen. "Volksverbundenheit, Parteilichkeit, Optimismus, Orientierung an den Klassikern und Nationalismus" sollten leitend für jeden Komponisten sein. Um in dem strengen Regime nicht in Gefahr zu geraten, duckte sich Schostakowitsch somit weg und passte sich an. Jedenfalls auf den ersten Blick. Wenn das Publikum bei der Uraufführung 1937 jubelte, dann vielleicht weniger, weil es in ein Loblied auf Stalin einstimmen wollte. Vielmehr mochte es sich in seiner politischen Unterdrückung verstanden gefühlt haben.

Dmitri
Schostakowitsch (1942) Dmitri Schostakowitsch 1942, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Das Stimmengewirr aus dem ersten Satz setzt sich im zweiten Satz fort. Er ist ein Tanz, der zunächst lächerlich fröhlich anmutet und immer wieder ausrutscht in Dissonanzen. Der dritte Satz verfällt in eine tiefe Trauer. Quälend schleppt sich die Musik von einem Missklang zum nächsten und endet schließlich doch in Dur.

Dmitri Schostakowitsch, 5. Sinfonie (hr-Sinfonieorchester/David Afkham)

Völlig überraschend und merkwürdig überdreht setzt danach der vierte Satz ein. Als stünde das russische Heer kurz vor dem Sieg, von schreiender Propaganda angefeuert. Vordergründig scheint der Durchbruch schon errungen, doch die hohen Streicher kreischen, die gesamte Musik ist überhastet. Es ertönen Fanfaren und das Orchester überrollt das Publikum mit einer Welle von Gewalt und Aggression. Aus der Tiefe kriecht erneut die Bedrohung hervor und bringt alles ins Wanken. Zum Abschluss schleicht sich wieder der Marsch in den Vordergrund, steigert sich bis ins Maximum und die Sinfonie endet bombastisch.

Der Marsch des letzten Satzes bleibt bis heute zweideutig. Die Fanfaren, der Triumph, alles geschieht unter dem Zwang eines unterdrückenden Regimes. Schostakowitsch nutzt die Musik, um sich zu positionieren, ohne sich angreifbar zu machen. Er schafft ein ambivalentes und zugleich authentisches Werk.

Der Beitrag wurde verfasst zum Sommerkonzert 2024 des Collegium Musicum der Goethe-Universität Frankfurt am Main.