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Index: Komponist*innen und Werke

Der späte Frühling

Joachim Raff: Ode au Printemps op. 76

20.04.2022 — von Oliver Gerndt

Joseph Joachim Raff galt in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts als einer der bedeutendsten Symphoniker seiner Zeit. Vor allem mit seiner 3. und 5. Symphonie sowie dem Klavierkonzert op. 185 füllte er Konzertsäle in ganz Europa. Doch wie kam er zu solch einem Erfolg und wie ist sein Werk für Klavier und Orchester Ode au Printemps op. 76 in seinem Gesamtwerk zu sehen?

Joachim Raff

Joachim Raff 1891 (Illustration aus Famous composers vol 2 von John Knowles Paine, gemeinfrei)

Am 27. Mai 1822 in Lachen bei Zürich kam Joachim Raff in einer deutsch-schweizerischen Familie zur Welt. Sein Vater, Franz Josef Raff, übte die Tätigkeit eines Lehrers aus, der auch Joachim Raff nach seinem Schulabschluss zunächst nachging. Die kommenden vier Jahre finanzierte er sich dadurch seinen Unterhalt, bis der Autodidakt Raff nach dem überraschenden Erfolg seiner Klavierstücke op. 2 bis 6 die musikalische Laufbahn einschlug und seinen Lehrdienst quittierte. Nach einigen Jahren als erfolgloser freier Musiker engagierte 1845 Franz Liszt ihn als Assistenten für seine Konzerttournee in Weimar. Allerdings beschrieb Liszt in einem Brief von 1847 Raff als einen schwierigen Charakter, der die gönnerhaften Angebote Liszts stets ausschlug und nur eigene Interessen verfolgte. So wurde das Verhältnis der beiden über die Jahre immer schlechter, bis Raff 1856 eigene Wege einschlug und von Weimar nach Wiesbaden zog. Dort heiratete er die Schauspielerin Doris Genast, die am Herzog-Nassauischen Theater wirkte und hatte 1863 mit seiner 1. Symphonie den ersten großen Erfolg. Mit dieser gewann er den Komponierwettbewerb der Gesellschaft der Musikfreunde Wien und die darauffolgenden Kammermusikwerke sowie Symphonien eroberten die Konzertsäle in ganz Europa; durch seine 3. Symphonie wurde der Name Joachim Raff auch in den Vereinigten Staaten bekannt. In seinen späten Vierzigern konnte Raff zum ersten Mal ein Leben ohne finanzielle Sorgen führen und ab 1877 nahm er die Stelle als Gründungsdirektor des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main ein. Er komponierte hier seine Sinfonien acht bis elf und starb 1882 im Alter von 60 Jahren.

Joachim Raff: Ode au Printemps op. 76 (Tra Nguyen / Radio-Sinfonieorchester Prag / Kerry Stratton)

Ode au Printemps („Ode an den Frühling“) op. 76 ist eines von drei Werken Raffs für Klavier und Orchester. Das einsätzige „Morceau de concert“ entstand 1857 mit dem ursprünglichen Titel Frühlingshymne – Caprice symphonique; ungefähr sechs Monate nachdem der Komponist von Weimar nach Wiesbaden gezogen war, um die angeschlagene Zusammenarbeit mit Liszt zu beenden und sich seiner eigenen musikalischen Karriere und Unabhängigkeit zu widmen. So kann das Stück mit seiner lyrischen Frische und aufheiternden Stimmung wie der Frühling als ein Neuanfang interpretiert werden, der einen Sommer voller Erfolg verheißt. Nach einer kurzen und atmosphärischen Introduktion des Orchesters erklingt eine lange, kantable Melodie des Klaviers, der ein Solocello und der Einsatz des vollen Orchesters folgen. Orchester und Klavier verschmelzen zu einer Musik von freudigem Überschwang. Die Fanfaren der Blechbläser, die freudig die Ankunft des Frühlings verkünden, bilden den Höhepunkt des Stückes. Widmungsträgerin ist Betty Schott, die Frau des Musikverlegers Franz Schott, der 1860 das Stück mit dem Titel Ode au Printemps veröffentlichte.

Dieser Text entstand für ein Konzerts des HfMDK-Sinfonieorchesters am 24. April 2022 im hr-Sendesaal.