Index: Komponist*innen und Werke
Entführung in eine zauberhafte Welt
Felix Mendelssohn Bartholdi: Ouvertüre „Ein Sommernachtstraum“ op. 21
20.04.2022 — von Anne Ilic
Mit nur siebzehn Jahren komponierte Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) im Sommer 1826 während fröhlicher und unbeschwerter Tage im großen Garten des Elternhauses in Berlin die zauberhafte Ouvertüre zum Sommernachtstraum.
Dass daraus noch ein mehrsätziges Bühnenwerk werden würde, hatte er wohl zu dem Zeitpunkt nicht gedacht. Doch siebzehn Jahre später, vier Jahre vor seinem Tod, holte er die Ouvertüre auf Wunsch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. nochmals hervor und schrieb die Schauspielmusik zu William Shakespeares “A Midsummer Night’s Dream” aus dem Jahre 1594. Aus dieser erlangte besonders der Hochzeitsmarsch große Berühmtheit.
Mendelssohn ist mit Shakespeares 1594 geschriebenem Sommernachtstraum eine besondere Verbindung eingegangen. Sein ganzes Leben lang begleitete ihn das Stück. Das ist auch in einem Brief seiner Schwester Fanny an die jüngste Schwester Rebecka herauszulesen:
Gestern rekapitulierten wir, wie der ‚Sommernachtstraum‘ zu allen Zeiten durch unser Haus gegangen, wie wir in verschiedenen Altern alle verschiedenen Rollen gelesen, von Bohnenblüte bis zu Hermia und Helena, ‚und wie wir’s nun zuletzt so herrlich weit gebracht‘. Wir sind aber auch wirklich mit dem ‚Sommernachtstraum‘ vollkommen verwachsen, und namentlich Felix hat sich ganz denselben eigen gemacht; allen Charakteren ist er gefolgt, alle hat er gleichsam nachgeschaffen, die Shakespeare in seiner Unerschöpflichkeit hervorgebracht. (18.10.1843)
Im Gegensatz zu zeitgenössischen Ouvertüren anderer Komponisten ist die Sommernachtstraum-Ouvertüre aber nicht als Einleitung zu einem Bühnenwerk gedacht, die musikalische Momente vorweggreift (zu der sie später zwar auch wurde), sondern steht als Konzertouvertüre für sich. Sie fängt den Charakter der Sommernachtstraum-Komödie ein.
Mendelssohn selbst wollte sich ausdrücklich nicht auf ein der Ouvertüre zugrunde liegendes Programm festlegen. Er äußerte sich lediglich einmal auf Bitte des Verlags Breitkopf & Härtel für ein Programm eines Konzerts im Jahr 1833 zu dem „Inhalt“ seiner Ouvertüre und ging auf die Hauptmomente ein:
"Mein Ideengang bei der Composition für den Zettel anzugeben, ist mir zwar nicht möglich, denn dieser Ideengang ist eben meine Ouvertüre. Doch schließt sie sich eng an das Stück an, und so möchte es vielleicht sehr angemessen sein, die Hautpmomente des Dramas dem Publikum anzugeben, damit es sich den Shakespeare zurückrufen, oder eine Idee von dem Stück bekommen könne. Ich glaube, es würde genügen zu erinnern, wie die Elfenkönige Oberon und Titania mit ihrem ganzen Volke fortwährend im Stücke erscheinen, bald hier bald dort; dann kommt ein Herzog Theseus von Athen und geht mit seiner Braut in den Wald auf die Jagd, dann zwei zarte Liebespaare, die sich verlieren und wiederfinden, endlich ein Trupp täppischer, grober Handwerksgesellen, die ihren plumpen Spas [sic] treiben, dann wieder die Elfen, die sie alle necken - und daraus baut sich eben das Stück.
Wenn am Ende sich alles gut gelöst hat, und die Hauptpersonen glücklich und in Freuden abgehn, so kommen die Elfen ihnen nach, und segnen das Haus, und verschwinden, wenn es Morgen wird. So endigt das Stück und auch meine Ouvertüre. Mir wäre es lieb, wenn Sie auf dem Zettel blos diesen Inhalt mit kurzen Worten angäben, und meine Musik nicht weiter dabei erwähnten, damit die ruhig für sich sprechen kann, wenn sie gut ist; und ist sie das nicht, so hilft ihr die Erklärung gewiß nichts.
Schon damals erfreute sich die Sommernachttraum-Ouvertüre großer Beliebtheit und bis heute wird sie als Geniewerk angesehen. Trotz Mendelssohns jungen Alters war sein Kompositionsstil bereits ausgereift und sollte sich nicht mehr wesentlich verändern. So schrieb zum Beispiel der Komponist, Pianist und Dirigent Carl Reinecke über das Werk:
Mit dieser Ouvertüre schuf der siebzehnjährige Jüngling ein durchaus eigenartiges Werk, welches kein anderer als eben er hätte schaffen können. [...] Welche Kraft und welch klassisch-derber Humor neben dem duftigen Elfenzauber! Und wie schließen die vier Dreiklänge am Anfang und Ende das Ganze so einheitlich zusammen, dass es einem Kettenringe gleicht, in dem nicht ein einziges Glied fehlen dürfte. Und wie gering sind die Mittel, die der junge Meister anwandte! Außer der Ophikleide [heute Tuba], mit welcher ‚Zettel, der Weber‘ so drastisch gezeichnet ist, nur das kleine Mozartsche Orchester!
Mit den ersten vier Akkorden in den Holzbläsern – einer einfachen Kadenz, bei der Subdominante und Dominante vertauscht wurden (I-V-IV-I) – entführt Mendelssohn die Zuhörer in seine musikalische Welt des Sommernachtstraums..
Dort tauchen immer wieder Charaktere und Momente aus Shakespeares Werk auf – wie der iah-Ruf als Anspielung auf Zettels Eselskopf im Tanz der Handwerker, der in der Schauspielmusik zum „Rüpeltanz“ wird – und Mendelssohn vermittelt die Atmosphäre dieser zauberhaften Welt mit ihren Irrungen und Wirrungen.
Und am Ende, wenn die Elfen ihren Segen geben und das Werk mit der Anfangskadenz schließt, wird alles gut. Oder war es doch nur ein Traum?
Dieser Text entstand anlässlich eines Konzerts des HfMDK-Sinfonieorchesters am 24. April 2022 im hr-Sendesaal.