Werktextblog
Alle Artikel
Index: Komponist*innen und Werke

Ehrenpreis trotz schlechter Kritik

Giacomo Puccini: Preludio sinfonico

08.03.2022 — von Anne Ilic

Giacomo Puccini (1858-1924) zählt neben Gioachino Rossini, Giuseppe Verdi und Richard Wagner zu den berühmtesten Opernkomponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Zehn Opern komponierte er, zählt man die drei Einakter des Opernzyklus Il Trittico einzeln mit, sind es sogar zwölf. Ob Tosca, La Bohème, Madame Butterfly oder Turandot – Puccinis Werke sind heute ein fester Bestandteil des Opernkanons.

Giacomo Puccini

Giacomo Puccini (Urheber unbekannt, gemeinfrei)

Nachdem er als Achtzehnjäriger die Oper Aida von Verdi gehört hatte, wusste er: Er wollte Opernkomponist werden:

Seit ich Aida in Pisa besucht habe, spüre ich, dass sich ein neues musikalisches Fenster in mir geöffnet hat.

Um dieses Ziel zu erreichen, ging Puccini im Jahr 1880 mit einem Stipendium an das Mailänder Konservatorium, wo er auch das Preludio sinfonico komponieren würde. Mit dem berühmten Opernhaus La Scala war Mailand genau der richtige Ort für einen angehenden Opernkomponisten. Dort studierte er hauptsächlich bei Amilcare Ponchielli – dessen berühmtestes Werk die Oper La Gioconda mit dem beliebten „Tanz der Stunden“ ist – und Antonio Bazzini. Puccini gehörte zu den Besten seiner Klasse – allerdings nicht zu den Fleißigsten:

Ich bringe ihm [Ponchielli] die gleichen Hausaufgaben, die ich für Maestro Bazzini vorbereitet habe. Ich habe ihm sogar die gleiche Fuge drei- oder viermal mit nur geringfügigen Änderungen vorgelegt.

In einem Brief an seine Mutter beschreibt Puccini seinen Alltag als Student:

Ich habe mir einen Zeitplan gemacht: Morgens stehe ich um halb neun auf. Wenn ich Unterricht habe, gehe ich dorthin. Wenn nicht, übe ich ein wenig Klavier. Nicht, dass ich viel tun müsste, aber ein bisschen muss sein. Ich werde eine „Methode“ von Angeleri kaufen, die ausgezeichnet ist. Das ist die Art von Lehrbuch, mit dem man sehr gut selbst lernen kann. Ich mache das bis halb elf, dann frühstücke ich und gehe raus. Um eins komme ich nach Hause und arbeite ein paar Stunden für Bazzini. Von drei bis etwa fünf studiere ich etwas klassische Musik am Klavier. Ich würde auch gerne ein Abonnement für Partituren abschließen, aber ich habe nicht das Geld. Im Moment gehe ich den Mefistofele von Boito durch. Ein Freund von mir, ein gewisser [Alberto] Favara aus Palermo, hat mir ein Exemplar geliehen. Um fünf nehme ich ich mein sparsames (mein sehr sparsames!) Essen zu mir - Minestrone alla Milanese, das, um ehrlich zu sein, sehr gut ist. Ich esse davon drei Teller, dann einige andere Dinge zum Füllen, ein kleines Stück Gorgonzola und trinke einen halben Liter Wein. Dann zünde ich mir eine Zigarre an und mache meinen üblichen Spaziergang durch die Galerie. Ich bleibe dort bis neun und komme todmüde nach Hause. Ich übe etwas Kontrapunkt, spiele aber nicht: Ich darf nachts nicht spielen. Dann gehe ich zu Bett und lese sieben oder acht Seiten eines Romans. Und so lebe ich. (18. Dezember 1880)

zit. nach: Mosco Carner, Puccini. A Critical Biography, London ³1992, S. 27, Übersetzung aus dem Englischen A.I.

Diesen einfachen Tagesablauf schilderte er seiner Mutter, doch sicherlich ließ er den ein oder anderen Punkt weg. So suchte er unter anderem auch gerne die Hosteria Aida auf, ein Gasthaus, und unterhielt dort Mädchen.

Konservatorium Mailand

Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand (Foto: Paolobon140, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Das Preludio sinfonico in A-Dur komponierte Puccini noch während seiner Studienzeit am Mailänder Konservatorium 1882 für eine Jahres-Abschlussprüfung. Bei einem Semester-Abschlusskonzert wurde es am 15. Juli desselben Jahres uraufgeführt. Es ist sein zweites Orchesterwerk.

Mit nur einem Thema schafft es Puccini, ganze zehn Minuten zu füllen. Ruhig fängt das Stück an, in kleiner Besetzung, mit schweifender Melodik, die im gesamten Werk immer wieder an- und abschwillt. Das Thema breitet sich weiter aus, immer mehr Instrumente kommen hinzu, immer wieder werden neue, weitere Ebenen erreicht – von verträumt über tänzerisch bis hin zu sehnsüchtig. Schließlich steigert es sich bis zum dramatischen Ausbruch, der sanft ausklingt – so zart wie das Preludio anfängt, so endet es auch. Charakteristisch sind in dem Werk besonders die motivprägenden Quartsprünge.

Giacomo Puccini: Preludio sinfonico (Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin / Riccardo Chailly)

Doch das Presseurteil fiel eher negativ aus: Er habe zu viel von seinem Lehrer Ponchielli und von Wagner übernommen. Einer der bedeutendsten Musikkritiker seiner Zeit, Filippo Filippi urteilte in der Zeitung „La Perseveranza“, das Werk sei etwas zu lang und die Entwicklung der Phrasen sei nicht leicht zu verstehen. Auch der Kritiker der Zeitung „La Lombardia“ war nicht ganz zufrieden mit dem Werk:

Puccini erscheint in diesem Präludium für Orchester ein bischen unausgeglichen, unruhig, ein bischen zu Ponchiello-artig in den Violinen, die das Publikum vor Wonne zergehen lassen; es mangelt jedoch nicht an Vorzügen und zeugt von einer überaus künstlerischen Natur. Der letzte Teil des Präludiums ist sehr reich und elegant.

Ähnlichkeiten besonders mit dem Vorspiel zu Wagners Lohengrin bleiben nicht verborgen. Melodisch und klanglich lassen sich durchaus Parallelen ziehen. So fehlen beispielsweise bei beiden zunächst die Bässe; beide Werke beginnen ruhig im Piano in der hohen Lage.

Richard Wagner: Vorspiel zur Oper „Lohengrin“ (Berliner Philharmoniker / Simon Rattle)

Eine „Melodie wie eine weite träumende Wasserfläche, wie dunstige Ätherwolken“ – diese malerische Beschreibung des Lohengrin-Vorspiels von Charles Baudelaire, einem französischen Schriftsteller und Lyriker, könnte auch Puccinis Preludio sinfonico umschreiben.

Dass Wagner zu seinen Vorbildern gehörte, zeigt sich auch in einem fiktiven, ironischen Lexikoneintrag über sich in einem Notizheft für die Ästhetik-Vorlesung im Jahr 1882/83:

Er war schön und äußerst klug und besaß auf dem Feld der italienischen Kunst den Atem einer Kraft, die gleichsam ein Widerhall des Wagnerischen von jenseits der Alpen war!

An Selbstbewusstsein mangelte es Puccini wohl also nicht.

Und so konnte er sicherlich auch die Kritik der Presse gut verkraften, denn trotz der verhaltenen Urteile bekam er für sein Preludio sinfonico den „gran menzione“, den Ehrenpreis der Jury – was bei solch einer ausgereiften Klanglichkeit nicht verwundert.

Unterschrift Giacomo Puccini

Unterschrift Giacomo Puccinis (gemeinfrei)

Dieser Text entstand als Programmheftbeitrag zu einem Konzert des hr-Sinfonieorchesters am 11. März 2022 in der Alten Oper Frankfurt.