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Index: Komponist*innen und Werke

Die keltischen vier Jahreszeiten

Tina Ternes: Dorische Suite

20.10.2021 — von Miquela Döppenschmitt

Der 1. Satz umschreibt Samhain, ein Fest, das uns auch unter dem Namen Halloween bekannt ist. Was umgibt uns, wenn wir an Halloween denken, was sind unsere Eindrücke, Gedanken, Gerüche, die wir wahrnehmen, und welche Erinnerungen haben wir an Halloween? Mit welchen Worten würdest du das Fest Halloween oder auch gerne das keltische Fest Samhain umschreiben?

Ist es nicht die Zeit des Gruselns, die Zeit des Verkleidens, die Zeit des Umherziehens, um nach Süßem zu fragen und mit Saurem zu drohen, die Zeit der bunten Blätter, der fast schon kahlen Bäume und der Kaminfeuer?! Nicht nur der Mensch neigt im Herbst zur Vorbereitung seiner selbst auf den Winter, auch die Natur zieht sich zurück, Tiere bauen ihre Höhlen. Denn es steht eine düstere, eine melancholische und eine kalte Zeit bevor, die Musik ist durchzogen von Mystik und Zauber, man kann in ihr den Umbruch in eine neue Jahreszeit spüren. Die Musik wühlt auf, sie lässt ihren Rhythmus auf den Zuhörer nieder und zieht ihn vollends in ihren Bann.

Tina Ternes, Dorische Suite, 1. Satz „Samhain“ (Duo Flöte an Tasten)

Mit Samhain beginnt eine der vier keltischen Jahreszeiten. Denn auch die Kelten gliederten das Jahr in vier Teile. An den Übergängen feierten sie Feste: Samhain, auch als Halloween bekannt, dann Imbolc, auch Lichtmess genannt, außerdem Beltane, dem Fest Walpurgisnacht und Lughnasadh, dem Erntedankfest. Diese vier Feste werden in der „Dorischen Suite“ umschrieben und dargestellt.

Mond hinter Wolken

Die vier Hauptfeste waren bei den Kelten Mondfeste (Bild: Smatprt, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Der zweite Satz, Imbolc, erzählt vom Frühlingsanfang, Geschichte des Erwachens oder auch des Wiederauferstehens. Wir genießen alle bunten Farben und alle bunten Ostereier. Außerdem das schöne Wetter und die Blumen auf den Wiesen oder auch die Tiere, die wieder aus ihren Nestern hervorkriechen. Viele verlieben sich und haben Spaß und erfreuen sich an der wiederaufblühenden Natur.

Tina Ternes, Dorische Suite, 2. Satz „Imbolc“ (Duo Flöte an Tasten)

Schließe die Augen. Hier und da prasselt brennendes Holz und es wird warm ums Herz. Denn wer kennt sie nicht, die Geschichten der Hexen, wie sie schon im Mittelalter große Feuer brannten. Doch wofür steht die Walpurgisnacht eigentlich bei den Kelten? Wie ich herausfinden konnte, ist die Walpurgisnacht hier ein Begrüßungsfest, um die Sonne zu ehren. Auch hier sollten große und helle Feuer der Sonne den Weg zeigen und sie von Herzen grüßen. Die Feier und Feuer waren auch am Abend zuvor begleitet von Musik und Tanz, wie in den von Hexen erzählenden Sagen, zumindest stelle ich mir das so vor. Versuche doch ein Mal ganz im Rhythmus der Musik den einzelnen Tönen zu folgen. Vielleicht erhascht du hier oder da sogar ein Bild vor deinem inneren Auge, wie damals getanzt und gelacht wurde, am Fest Beltane.

Tina Ternes, Dorische Suite, 3. Satz „Beltane“ (Duo Flöte an Tasten)

Die zeitgenössische Komponistin Tina Ternes, deren Werke unglaublich ansprechend und fesselnd sind, zeigte schon früh ihre musikalische Begabung. Dass viele christliche Feste ihren Ursprung in der keltischen Mystik und Bräuchen haben, fasziniert Tina Ternes. Dies ist auch die Grundlage für ihre „Dorische Suite“ für Flöte und Klavier. Die Tonart dorisch spielte in der keltischen Folklore eine wichtige Rolle und ist die harmonische Basis der Suite. Mit alten Satztechniken und modernen Elementen schafft Tina Ternes reizvolle, mal beschwörende, mal ausgelassene Sätze. Sie sind den vier keltischen Mondfesten gewidmet.

Kommen wir nun zum Satz Nummer 4, Lughnasadh – das Erntedankfest. Es kommen mir sofort viele viele Farben in den Sinn. Bunte Laubblätter liegen auf den Boden verteilt und wenn wir Glück haben, gesellt sich noch ein Kastanienbaum dazu und es regnet nur so von Kastanien. Auch eine Bäuerin mit einem Strohhut steht vor meinem inneren Auge und sammelt fleißig die Ernte auf dem Feld ein, Kartoffeln, Rüben und Kraut. Eben alles was der Herbst zu bieten hat! Es ist ein kurzer und prägnanter Satz mit einem aussagekräftigen Schluss.

Die Musik ist authentisch und einfühlsam. Sie wirkt geheimnisvoll, wie aus einer anderen Zeit. Bis zum Ende begleitet die Flöte das Klavier.

Tina Ternes, Dorische Suite, 4. Satz „Lughnasadh“ (Duo Flöte an Tasten)

Dieser Text wurde verfasst für das Konzert „Drei Jahrhunderte Musik von Komponistinnen“ des Frankfurter Tonkünstlerbunds (23. Oktober 2021, Saalbau Frankfurt-Bornheim).